Wirtschaftsspiegel Thüringen Ausgabe 03/2014 - page 9

Arbeitsrecht
9
Betriebsräte sind Organe zur Mitbestimmung und Vertretung der Arbeitnehmerinteressen,
die auch an betrieblichen Entscheidungen mitwirken. Für Arbeitgeber können sie Fluch oder
Segen sein. Das fängt schon bei der Wahl an.
AGVT-Arbeitsrechtsexpertin Kathrin Stocky er-
läutert die Hintergründe.
Betriebsratswahlen im Blick
Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner
Entscheidung vom 09. Juni 2011 (6 AZR
132/10) festgestellt, dass auch während
eines laufenden Wahlanfechtungsver-
fahrens der Betriebsrat bei Kündigung
eines Mitarbeiters gem. § 102 Abs. 1
BetrVG anzuhören ist. Die erfolgreiche
Anfechtung der Betriebsratswahl wirkt
nur für die Zukunft und nicht rückwir-
kend. Dies ist anders als bei der Nich-
tigkeit der Betriebsratswahl. In diesen
Fällen gilt der Betriebsrat von Anfang
an als nicht bestehend. In einem Ge-
richtsverfahren um die Wirksamkeit der
Kündigung entfällt bei festgestellter
Nichtigkeit die Prüfung der ordnungs-
gemäßen Anhörung des Betriebsrates.
Beide Fälle setzen jedoch eine rechts-
kräftige Entscheidung der Arbeitsge-
richtsbarkeit voraus. Ist eine Betriebs-
ratswahl unwirksam, kann sie
angefochten werden. Dieser Fall liegt
vor, wenn gegen wesentliche Vor-
schriften zum Wahlrecht, die Wählbar-
keit oder das Wahlverfahren verstoßen
wurde (§ 19 Abs. 1 BetrVG). Das Wahl-
ergebnis muss dadurch zumindest hy-
pothetisch beeinflusst worden sein. Es
wäre also nicht auszuschließen, dass es
ohne den Verstoß nicht anders ausge-
fallen wäre.
Sind mindestens drei Wahlberechtigte,
eine im Betrieb vertretene Gewerk-
schaft oder der Arbeitgeber dieser An-
sicht, kann die Wahl innerhalb von zwei
Wochen nach Bekanntgabe des Wahler-
gebnisses beim Arbeitsgericht ange-
fochten werden.
Die Nichtigkeit einer Wahl dagegen
kann jederzeit von jedermann geltend
gemacht werden. Sie liegt vor, wenn ein
grober oder offensichtlicher Verstoß ge-
gen die Wahlvorschriften erfolgt ist,
zum Beispiel die spontane Wahl eines
Betriebsrates in einer Versammlung auf
Zuruf (vgl. BAG vom 12. Oktober 1961,
5 AZR 432/60). Sowohl bei der Anfech-
tung als auch bei der Nichtigkeit der
Wahl führt nicht jeder Verstoß zum
Erfolg. Das Thüringer Landesarbeitsge-
richt hat in seinem Beschluss vom 06.
Februar 2012 (1 TaBVGa 1/12) zu Recht
darauf hingewiesen, dass es eine Illus-
ion wäre, anzunehmen, dass der kom-
plexe Prozess einer kollektiven Willens-
bildung fehlerfrei ablaufen könne.
Insofern sollten alle Beteiligten mit Ru-
he und Gelassenheit der Betriebsrats-
wahl entgegentreten.
Bevor ein Arbeitgeber beschließt, gegen
die Wahl eines Betriebsrates vorzuge-
hen, empfiehlt es sich, folgende As-
pekte in die Entscheidung mit einflie-
ßen zu lassen: Jedes Verfahren führt zu
atmosphärischen Störungen im Verhält-
nis zum gewählten Betriebsrat. Bis zur
endgültigen Entscheidung kann es
durchaus ein bis zwei Jahre oder länger
andauern. In dieser Zeit müssen beide
Betriebsparteien zusammenarbeiten.
Die Kosten dieses Verfahrens unabhän-
gig vom Ausgang sowie der Neuwahl
trägt der Arbeitgeber. Durch eine Ent-
scheidung im Sinne des Arbeitgebers
würde jedoch ein Betriebsrat nicht ver-
hindert. Ferner können bei einer dies-
mal korrekten Neuwahl die gleichen
Mitglieder wieder gewählt werden. Es
stellt sich für den Arbeitgeber jedes Mal
die Frage: Lohnt sich der Aufwand?
Foto: eb-picture/fotolia
1,2,3,4,5,6,7,8 10,11,12,13,14,15,16,17,18,19,...40
Powered by FlippingBook